Samstag, 27. August 2011

Was ich heute sah und hoerte

Ich sah: Bereits um sieben Uhr morgens den Kangchendzonga, ueber 8600 Meter hoch, hoechster Berg Indiens und dritthoechster der Welt, weiss strahlend wie ein Koenig, Herrscher ueber Himmel und Welt.
Und ich hoerte ein unbeschreiblich lautes Schnarren aus einer Baumkrone am Fusse des Tiger Hill, das ich zuerst fuer ein Transformatergeraeusch oder etwas Aehnliches halten wollte. Grillen und Zickaden wohnen doch nicht so hoch! Beim Hinuntergehen klang es vom benachbarten Baum.
Ich sah, wie ein Gleiswart mit einem Werkzeug den Sand aus den Schienen kratzte am Bahnuebergang, bevor der Zug aus dem Bahnhof kam. Auf der Strecke tat das niemand, da musste der Spurkranz sich durch den Sand schneiden, der sich immer wieder zwischen den Gleisen sammelte, die oft zugleich Gehwege waren.
Ich hoerte Musiker vor einer Schule auf der Strasse spielen. Ein Mann, den ich fuer blind hielt, tanzte mit den Fingern ueber die Tasten eines vielleicht selbstgebauten Instruments, waehrend er mit der anderen Hand die Vorderwand des Kastens auf- und zuklappte, als waehre sie eine Luftpumpe. Zwei Frauen begleiteten ihn, ebenfalls am Boden hockend, mit Trommeln und Gesang. Jedes Lied hatte mehrere Strophen, aber dann immer einen schnelleren Teil, in dem ich in den virtuosen Spiel jazzige Harmonien zu hoeren glaubte. Die Kinder standen auf der Veranda, und ich wusste nicht, ob sie mehr wegen des Spiels oder wegen meines Fotographierens feixten.
Ich sah hunderte laechelnde Gesichter, denn ich habe bald bemerkt, dass jeder, den man gruesst oder auch nur freundlich ansieht oder anlaechelt, freudenstrahlend zurueckgruesst, oder schon zuerst gruesst. Das war so bei Maennern und Frauen, bei Jugendlichen und Kindern. Ich habe sogar getestet, ob der Zauber auch bei muerrischen oder streitenden Menschen wirkt: Ja, er wirkt, sobald nur ein Blickkontakt entstehen kann. Eine weitere Wirkung dieses Geheimnisses ist, dass ich immer aufrechter gegangen bin, und immer leichtfuessiger.
Ich hoerte die Gesaenge der Moenche im Dervati-Tempel, der maerchenhaft im Zedernwald des Tiger Hill liegt. Glaeubige betraten eines der Heiligtuemer, die jeweils einen Aspekt der Gottheit praesentierten, beugten sich mit Opfergaben ueber den Altar und neigten sich zum daneben sitzenden Priester, der ihnen das Tilaka auf die Stirn zeichnet, den roten Bindi-Punkt. Als ich im groessten Heiligtum mit den Priestern sprach, die neben den Standbildern und zwischen Felsen und aus der Erde quer durch den Raum ragenden Baumstaemmen sassen, und als sie erfuhren, dass ich auch Priester war, erboten sie sich, mir auch einen Bindi auf die Stirn zu zeichnen, und schenkten mir einen Gebetsschal und eine Banane.
Ich sah einen Buddha-Macher, der in einer Garage an der Arbeit sass. Fuer die grossen Statuen brauche er sechs Wochen. Sie wuerden aus verschiedenen Arten von Ton und Lehm gemacht in vielen Arbeitsschritten und waeren innen hohl. Aber es gaebe nur wenig Auftraege fuer so grosse Figuren, und er stelle hauptsaechlich kleine handliche Figuren her.
Ich hoerte den Ratschlag eines Jungen, der mich schon laenger beim Gehen und fotographieren beobachtet hatte, als er mir eine bestimmte Perspektive fuer ein Foto empfahl. Es ging um Haeuser, die in einem Strassenbogen zum tiefen Graben hingewandt standen und ihm viele Stockwerke mit Balkonen hinhielten, die meisten mit Kleidungsstuecken drapiert. Beim Weitergehen stellte er sich als Tibeter vor, dessen Grosseltern vor der chinesischen Invasion 1949-59 hierher gefluechtet waren. Die Bevoelkerung der ganzen Region bestehe heute zu mindestens 90 Prozent aus Tibetern. Die Bengali, die ich auch gesehen hatte, seien Urlauber oder haetten sich eine der Villen eben jener Gegend gekauft, durch die wir gerade gingen.
Ich sah herumziehende Nebelschwaden und Wolken, die sich ueber die gewellte Erdoberflaeche schoben und aus Taelern aufstiegen, als sollte nicht alles zugleich sichtbar sein, wenn man eine hoehere Position erreicht hat; als gaelte es, noch etwas zurueckzuhalten und nicht alles sogleich preiszugeben. Und die gefundene Ruhe und Besonnenheit schien ihnen rechtzugeben.

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Freitag, 26. August 2011

Darjeeling

Bereits die Anreise war etwas Besonderes. Alle unsere lieben Freunde trafen nach und nach am Bahnsteig ein, die meisten zehn Mituten nach der geplanten Abfahrt. Auf den elektronischen Anzeigen stand Willkommen, auf den gedruckten Fahrplaenen alles moegliche, wenn auch weder nach Abfahrtszeit, noch nach Zielort noch Zugnummer geordnet, aber jedenfalls war unser Zug nicht darunter. Doch mit 40 min Verspaetung war er da, rollte leise durch den Regen ein, und wir fanden sofort unsere Plaetze. Die Strecke war in russischer Breitspur gebaut, entsprechend sind die Wagen breiter als hoch. Das Abteil hat sechs Betten, doch auf der anderen Gangseite sich wieder in Laengsrichtung Bettenabteile. Allerdings teilen Vorhaenge, nicht Waende die Abteile vom Gang, wodurch man gut mithoeren kann beim Nachbarn. Ich Schlafkaiser habe mich gut erholt im obersten Stockwerk, waehrend Sandro, der eine Etage tiefer lag und Gewand und Schuhe anbehalten hatte, am naechsten Tag recht muede war.
Durch einen Kraehenschwarm von schreienden Taxifahrern hindurch stapften wir stumm und wild entschlossen durch die Bahnhofsanlagen bis auf den Taxistand zu, der allerdings geschlossen war. Erst nach dreimaligem Umrunden betrat ein serioes aussehender Mann den Kiosk und errettete uns vor der Meute, indem er uns ein Prepaid-Ticket verkaufte um die Haelfte der bisherigen Angebote. Erst spaeter begriff ich, warum er mehrmals nachgefragt hatte, ob ein normales kleines Auto genuege. Denn sobald die Strasse Stadt und Doerfer hinter sich gelassen hatte und sich die Berghaenge hinaufwandt, wurde sie immer schmaeler und die Loecher immer groesser. Ueber palmenbewachsene Alpenhaenge kaempfte sich unser tapferer Fahrer im ersten oder zweiten Gang Kehre um Kehre hoeher, waehrend Kolonnen von Lastwagen und Jeeps entgegenkamen und mit eingeklapptem Seitenspiegel Zentimeter geteilt wurden. Entlang und immer wieder querend verlief die Schmalspur-Bahnlinie, und nach drei Stunden Fahrt begegnete uns tatsaechlich nach lauten Signalstoessen ein Zug. Immer wieder standen kleine tibetische Haeuschen am Abhang, manchmal ein Gasthaus oder eine Siedlung aus bunten Holzhaeusern. Wo Geroell und Erde weggeschauflt wurde, erinnerte ich mich an die Schreckensmeldungen der grossen Unwetter, die in den letzten Tagen hier geherrscht haben sollen, waehrend wir im Tiefland im Sonnenschein wandelten. Nun verblies das kuehle Berglueftchen die letzten Nebelschleier und oeffnete wiederum der Sonne ein Fenster.
Darjeeling, von den Briten einst in 2500 Meter Hoehe als Erholungsort ihrer Soldaten und Kaufleute errichtet und als Stuetzpunkt fuer ihre Teezuechtungen, schien dagegen mehr tibetisch als indisch, und entfaltete vom Bahnhof bis zum Uhrturm ein froehliches und geschaeftiges Leben, in grosser Hoeflichkeit und Freundlichkeit. Von unseren Zimmern aus konnte man auf die ganze Stadt hinunterblicken, und es war gar kein Unglueck, dass der Zug, mit dem wir nach zwei Tagen weiterreisen wollten, bereits ausgebucht war, und wir einen Tag laenger bleiben muessen.


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Donnerstag, 25. August 2011

Kinder

Ich kann mit diesen Kindern etwas anfangen. Als sie mit ihren Eltern und Lehrern schwitzend auf der Veranda der Schule sassen, da spielte ich ihnen vor, wie kalt im Winder unsere Kirche ist, bis es sie schuettelte. Oder ich zeigte ihnen, wie unsere Kinder in Villach beim Altar mit erhobenen Haenden beten duerfen, obwohl das nur den Priestern erlaubt ist, und bat sie, mich keinesfalls zu verraten - was ihnen alles Pfarrer Wilfried grinsend uebersetzte. Einmal sehe ich in einem Schulbuch einen Eisenbahnzug aufgezeichnet und behaupte, ich sei mit dem Zug von Osterreich nach Indien gekommen. Zum Beweis zeige ich ihnen die Fotos auf dem Cameradisplay, worauf sie zuerst ratlos, dann feixend einander anblicken und sich bald um die Kamera draengten. Spaeter erzaehle ich von den Elephantenschnitzel, die es dort im Speisewagen gegeben haette, von den gebratenen Kobraeiern zumj Fruehstueck (worauf es sie beutelte), und schliesslich von der grossen Zugbibliothek, wo ich Tolstoi und Dostojewski gelesen haette (was sie kalt liess). Die gemischt-religioesen Kinder eines Hostels, die mir einen Blumenkranz umgehaengt hatten, lobte ich fuer zwei Dinge: wie still sie sitzen konnten, und wie aufmerksam sie zuhoerten. Ich spielte ihnen zu ihrem grossen Gaudium vor, wie dagegen meine eigenen Schulkinder mit dem Stuhl wackeln, miteinander tratschen und sonst noch viel Bloedsinn machen wuerden. Schliesslich bat ich sie, Fotos machen zu duerfen, damit sie als Lehrer meiner Kinder wirken konnten, und dankte ihnen fuer den Unterricht.
Besonders beruehrt haben mich die acht aidskranken Kinder, die ich zu Bett brachte, indem ich sie jeweils liegend fotographierte und allen die Bilder zeigte. Doch dann wollten sie mir ein Lied vorsingen und waren ploetzlich alle wieder auf den Beinen.

Was mir hingegen nicht richtig gelingen wollte, war das Essen mit den Fingern. Nach einer Haussegnung im Kreis der Dorfgemeinschaft sassen wir im halbdunklen Zimmer, ich konnte die graesslichen eingetunkten Kekse noch auf Francis' Teller schummeln, die Huehnchenstueckchen waren kein Problem, doch vom mit Sauce und Suppe getraenkten Reis brachte ich knapp die Haelfte in meinen Mund - der Rest wurde ueber mein Hemd, die Hose und den ganzen Boden verstreut. Wer glaubt, das sei doch eine einfache Sache, moege es zu Hause selbst probieren, am besten, wenn er allein ist.

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Montag, 22. August 2011

Lawrences Schule und Pfarre

Es war ein Festtag erster Ordnung, als ich von einem Kinderchor begruesst, aus dem Auto stieg und mit Trommeln und Zimbeln in den Versammlungsraum der Schule gefuehrt wurde. Dort haus dem Land katte jede Klasse ein Lied, vom Kindergarten angefangen. Die grossen Buben schliesslich machten akrobatische Kunststuecke. Ueber allem war jedoch eine grosse Freude, ein offenes Herz, eine Begeisterung fuer den weitgereisten Gast, der aus dem Land kommt, in dem Lawrence nun ist. Und als es nach dem vielen Tanzen auch zum Sprechen kam, da erkundigte man sich nach Lawrences Gesundheit und, wann er wiederkommt. Da waren die mittlerweile fuenf Schwestern vom Depansely Convent Kolkata, die im gleichen Saal wohnen, schlafen, beten und essen, in dem auch die 150 Kinder wohnen, da waren viele einzelne Kinder, die mir Briefe mitgaben, und da war schliesslich Anjata, die Lehrerin, die ihren Berufsentschluss auf Lawrence zurueckfuehrt. Sie schrieb mir einen langen Brief ins Notizbuch, das ich komplett und hoechstpersoehnlich zu uebergeben haette. Sie erkundigte sich noch nach dem genauen Datum meiner Heimkehr, damit sie wusste, wann sie mit einer Antwort rechnen koennte.
Und in Lawrences frueherer Pfarre zeigte man mir die von ihm errichteten Bauten, und ich wurde durchs ganze Dorf gefuehrt, entlang des Teiches, den er gegraben hat. Auch hier bekam ich ein etwas zaghaftes Staendchen gesungen.

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Sonntag, 21. August 2011

Kirche mit Mission

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Vater Henry betreut seit vier Jahren die Pfarre Magildangain der Dioezese Asansol in Westbengalen (westlich von Kolkata). Dort leben in Doerfern unter 10.000 Andersglaeubigen 700 Katholiken. Sie kommen jeden Sonntag aus einem Umkreis von ca. 20 km zur Messe.
Vater Henry organisiert taeglich Foerderunterricht fuer 80 Schulkinder, die von 8 – 10 Uhr in der Kirche von Lehrern in Bengali und Englisch, nachmittags auch in Mathematik und anderen Faechern unterrichtet warden. Von 10 bis 16 Uhr sind sie in der oeffentlichen Schule, die aber fuer eine gute Bildung nicht ausreicht.
Vater Henry unterrichtet auch Katecheten sowie die erwachsenen Taufbewerber selbst. Er bildet Frauengruppen, die fuer die sozialen Entwicklungen in ihren Gemeinden und Familien geschult werden.
In seiner Sakristei gibt er auch Sprechstunden fuer medizinische Hilfe und verkauft Arztneien. Woechentlich kommt eine Schwester der Mutter Teresa mit homoeopathischen Heilmitteln sowie ein Arzt. Ausserdem ist die Sakristei auch eine Bank, denn die Dorfbewohner bringen ihr Erspartes, das er fuer sie bei der Dioezesanbank anlegt. Und Familienbesuche macht der Pfarrer auch. In seinem kleinen Garten zwischen dem Wohnhaus und der Kirche (auch Baumeister ist er!) hat er Bingol, Papajas, Mango, Ladys Finger, Pumkin und Green Vegetable angebaut (das ganze Dorf kommt einkaufen!), und von den Fischen in seinem Teich haben wir heute zu Mittag gegessen.
Zur Gabenbereitung bei der Messe haben die meisten Glaeubigen einen Teller Reiskoerner gebracht, oft mit Blumen verziert, oder ein Geldstueck.

Nach der Messe nehmen mich die Leute mit auf einen Rundgang durch das Dorf. Friedlich sehe ich hier Menschen und Tiere zusammenleben

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Die Bhagavadgita

Fuer die, die an Genuss und Herrschaft haengen
und dadurch des Verstandes beraubt sind,
wird ein entschlossener Verstand
(auch) in Versenkung nicht gewaehrt.
Zum Bereich der drei Qualitaeten (gehoeren) die Veden;
von den drei Qualitaeten werde frei, o Arjuna! –
unabhaengig, immer auf Gutes gegruendet,
frei von Erwerb und Besitz, selbstbeherrscht.
Was an Nutzen an einem Brunnen liegt,
in den von allen Seiten sich Wasser ergiesst,
so viel liegt in allen Veden
fuer einen kundigen Brahmanen.
Nur um Taten bemuehe dich,
niemals um deren Ergebnisse;
nie sei der Lohn einer Tat fuer dich Ursache (des Handelns)!
Du sollst (aber auch) nicht am Nicht-Tun haften!
Gottes gedenkend, tu die Taten,
das Anhaften aufgegeben habend, o Dhanamjanya!
Erfolg und Misserfolg nimm gleichmuetig auf:
als Gleichmut wird Yoga bezeichnet.
Im Geist suche Zuflucht!
Armselig sind sie, die im Lohn den Anlass (zur Tat sehen).

Der Mystiker

Gopals haeufige Bewusstlosigkeit, die Atemnot und der Verlust aller Willenskraft, so dass er nur noch mit grosser Muehe ueberhaupt noch einen Finger bewegen konnte, dies alles waren Anzeichen fuer das Aufgehen im Goettlichen. Und wenn er in einem solchen Zustand manchmal vor Kaelte zitterte, so lag das daran, dass die Seele in der Gegenwart Gottes so gluecklich war, dass es schien, als habe sie den Koerper verlassen und vollkommen vergessen, ihm Leben einzuhauchen.

Sudhir Kakar

Ruhe

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Nach dem Laerm von Kolkata ist das hier eine andere Welt. In dem Ausbildungszentrum, in dem ich untergebracht bin, in einem weiten, offenen Landstrich mit kleinen Doerfern, sind wir diese Woche nur zwei Priester. Vater Wilson reist durch die Dioezese, die anderen sind in ihren Pfarren. Man kann hier blossfuessig und in kurzen Hosen herumlaufen (ohne auf eine Kroete oder einen Tausendfuessler zu treten), es ist sonnig und warm. Hinter dem Haus ist ein Fussballplatz, davor, in einiger Entfernung, ein Heim fuer Aidskranke. Vater Wilson hat sich gestern beschwert, dass die Dorfschule die kranken Kinder nicht annimmt, die Eltern im Dorf wollen sie nicht. Nachts krabbelt ein Gecko ueber die Waende und jagt Moskitos, unter meinem Tisch sitzt ein blinkendes Gluehwuermchen, es sind die wunderlichsten Vogellaute zu hoeren, manchmal ein Hundejaulen, und immer wieder ein Zug, denn in einiger Entfernung geht die Hauptstrecke vorbei, mit Verkehr in Minutenabstaenden.
Von hier aus besuche ich nun nach und nach die Schulen und Einrichtungen, in denen wir Patenschaften von Kindern vermitteln, und es sieht so aus, als haette ich dafuer einen eigenen Fahrer.

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Der Unterschied zwischen Warten und Doesen

liegt darin, ob etwas zu erwarten ist. Beispielsweise wartet ein Rikschafahrer auf Kunden, oder ein Verkaeufer am Basar.
Und wieder anders ist die Ruhe, die Gartenarbeiter auf einer Bank finden, und ganz anders diejenige junger Paerchen, die hinter einem bunten Sonnenschirm oder an einen Baumstamm gelehnt, mit versonnenem Blick hin und wieder ein Wort wechseln lassen und einander durchs Haar fahren.
All dies ist Teil eines anderen Vorgangs und laeuft auf etrwas Anderes, Kommendes zu.

Nur das Doesen dieser Menschen hinter den Planen am Gehsteig, wahrscheinlich auch das Kartenspiel der jungen Maenner davor hat sich der Aussichtslosigkeit ergeben und versucht nur mehr, lethargisch die uebrige Zeit zu beseitigen. Und was ist mit dem Spiel des kleinen Maedchens, das seinem kleinen kahlkoepfigen Bruder einen luftleeren Ball ueber den Gehsteig wirft, dem er jauchzend durch Schlamm und Truemmer nachjagt? Hat sie damit Hoffnung gesetzt, fuer sich oder den Bruder?

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Zwischen Warten und Doesen liegen Welten und Religionen.
Und vielleicht lebt unsere Medienwelt, in gedruckter, audiovisueller oder digitaler Form, vom Lavieren zwischen diesen Zeitformen, weil sie in dem sich selbst immer gleichbleibenden Informationsregen doch die Erwartung einer Neuigkeit erzeugen kann und so das Doesen in ein Warten umwandeln kann.

(Am Samstag Vormittag geschrieben in Kolkata, in Erwartung von Wilsons Wagen, im Hof sitzend, nach der Lektuere eines halben Buches.)

Chaos

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Die junge Amerikanerin Laura ist eine Goere. Sie beschwert sich ueber das Wetter und klagt ueber das Chaos Kolkatas. Sie arbeitet fuer eine NGO und muss noch weitere sechs Wochen hierbleiben. Weder in Suedamerika noch in Afrika sei es so schlimm gewesen wie hier. Bevor sie Nudeln mit scharfer Sauce zum Fruehstueck isst, bleibt sie lieber hungrig. Und Schlamm und Elend in den Strassen findet sie entsetzlich, eine Zumutung geradezu.

Ich dagegen bewundere, wie diese kirchlichen Organisationen dagegen ankaempfen. Wie mitten in dieser Verzweiflung trockene und saubere Inseln entstehen und wie mit den vorhandenen Kraeften emsig und findig gearbeitet wird, in aller Gelassenheit. Wie auf diesem schlammigen Gelaende ein Pfahl aufgerichtet wird, sodas diese Frauen und Maenner, Buben und Maedchen alle mit Ziel und erhobenem Kopf durch diesen Hof marschieren und in Seminaren und Tagungen medizinische Grundbegriffe, neue Methoden in der Landwirtschaft oder Wege der Sozialarbeit kennenlernen.
Vielleicht ist das eine christliche Weise:
Im Chaos einen Anfang machen.
Eine Schoepfung.

Steigender Energieverbrauch,
Beschleunigung der Schaltprozesse,
Erweiterung der Komplexitaet.
Gegen Stoerungen von Aufstaendischen Waffen.
Gegen Warnungen vor Umweltzerstoerung weitere technologische Entwicklung.
Alles nur Fortsetzungen, kein Anfang.

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Sari-Traegerinnen

(ohne Worte)


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Freitag, 19. August 2011

Mutter Teresa

Ihre Person und ihr Wirken praegt diese Stadt. Die hier vorhandenen katholischen Kirchen und Institute dienen den Armen der Stadt, und zwar allen - waehrend Hindus und Moslems nur den eigenen Glaubensangehoerigen an Festtagen Almosen geben. Das Beduerfnis, der Stadt neben Ramakrishna eine Heilige zu geben, hat auch schon buddhistische Zeremonien hervorgebracht, die ein Bild der Mutter Teresa verehrten - oder auch Indira Gandhi. (Von Mahatma Gandhi hab ich dagegen noch keine Silbe gehoert hier)

Heute morgen habe ich das Haus besucht, in dem sie gewohnt und gewirkt hat. Ohne von einem Empfang oder einer Kasse aufgehalten zu werden, schiebe ich mich an ins Gespraech Vertieften in den Hof hinein, vorbei an einer Mutter Teresa-Bronce, die gerade mit einem Kuebel Wasser gewaschen wird, und betrete den Raum mit dem Sakopharg. Es ist ein mit Neonlampen ausgelaeuchteter Saal, der in der Mitte durch eine fast bis zur Decke reichende Holzwand geteilt ist. Zwischen dem breiten glatten Marmorsakopharg und dieser Holzwand liegt die Kapelle mit Holzaltar und Ambo, als Abgrenzung zum Andachtsraum dient ein blaues Absperrband wie am Flughafen. Alle Fenster stehen offen, die Ventilatoren rotieren - aber im Raum herrscht Ruhe. Einige Frauen beten, spaeter kommen einige Schwestern herein, knieen fuer eine Weile am Grabmal nieder und gehen wieder ihrer Beschaeftigung nach. Auf den Balkonen sehe ich alte Schwestern gehen, neben mir auf der Hofbank sitzen zwei junge, bildhuebsche Muetter mit ihren Babys, und sie und ihre Mutter werden abwechselnd zu einem Gespraech mit einer europaeisch aussehenden Schwester gerufen.

Mutter Teresas Zimmer ist gerade so gross, dass ein Bett und ein Tisch mit Bank und noch ein Schreibtisch darin Platz haben. Ein Regal vor dem Fenster enthaelt Schachteln mit Aufschriften, die ich nicht lesen kann. An den Waenden sind zwei Kreuze, ein grosses ueber dem Bett (neben einem Bild von Papst Johannes Paul II, der sie gerade in ihrem Zimmer besucht) sowie ein kleines neben dem Fenster.

Der schmale Hof, von dem aus die Treppe direkt zu ihrem Zimmer fuehrt, wird von einer Lourdes-Muttergottes beherrscht, und eine Plexiglasvitrine an der Wand zeigt eine lebensgrosse Figur der Mutter Teresa, die ein kleines Kind wickelt. An der Eingangswand haengt ein grosses, gelbliches Bild mit einem an einem Baum gekreuzigten Jesus, unter dem ein blau gekleidetes Maedchen steht und die Haende entrueckt von sich haelt. Auf ihrer Brust ist ein Bild der Mutter Teresa befestigt, und ueber der Landschaft entlaesst der Himmel Lichtstrahlen auf die Szene. Im Hintergrund ist deutlich eine Eisenbahnlinie zu sehen, auf der ein Zug sich in einer Schleife auf eine Bruecke hinaufarbeitet. - Bestimmt stellt das Bild die Berufung der Mutter Teresa dar, die sie aus ihrer Heimat in Skopje zunaechst in die vornehme Klosterschule in Kalkutta, und schliesslich zu den Leprakranken und Sterbenden gefuehrt hat/


Im Kinderheim der Schwestern der Naechstenliebe geht es froehlich zu. Ich sehe in verschiedenen Gebaeuden und Stockwerken Raeume und Saele mit spielenden Kindern, die von Schwestern, einheimischen jungen Frauen oder Volunteers breaufsichtigt werden. Da ist viel Lachen ueberall, und oft, wenn ich in ein Zimmer hineinschaue, kommt ein Kind her und will aufgehoben werden. Maenner gibt es hier nicht, faellt mir auf. In einem anderen Trakt sind behinderte Kinder. Ich sehe, wie gerade einige auf einer Art Liegestuhl von davor knieenden jungen Frauen zum Aufsetzen und wieder Zuruecklehnen angeleitet werden. Andere Kinder werden gefuettert. Wieder springt ein Maedchen auf und laeuft durch den Saal auf mich zu und umklammert mich - mehrmals tut sie das. Und schliesslich komme ich dazu, wie eine Kindergruppe ein Lied singt, und immer wieder stossen weitere Kinder dazu.
Die Schwester erzaehlt, dass die meisten Kinder von armen Eltern gebracht werden. Auf der Strasse zurueckgelassene Kinder scheint es nicht mehr zu geben. Wenn sie groesser werden, kommen sie an einen anderen Platz und werden auf die Schule vorbereitet/

Die Book-Guides (besonders die englischsprachigen) koennen sich uebrigend nicht verkneifen, zum Artikel ueber Mutter Teresa auch sueffisant zu bemerken, dass ihre Ablehnung der Abtreibung und Empfaengnisverhuetung doch nicht ganz so modern gewesen waere. Die Autoren haben nicht begriffen, dass gerade ihre Arbeit ein Ankaempfen gegen diese billige technische Machbarkeitsvorstellung ist, naemlich durch Liebe anstatt Toetung/

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Am Abend besuchen wir das Obdachlosenheim der Schwestern. Es ist ein erstaunlich langgestrecktes Gelaende mit einem Garten und einer Vogelvoliere, wo einige Maenner verschiedenen Alters herumstehen. Im grossen Schlafsaal doesen auch junge Maenner und sogar Jugendliche. In zwei anderen Saelen liegen sehr Schwache und Abgemagerte auf Matratzen. Es gibt auch einen Saal fuer alte Frauen.
Froehlich erzaehlt die Schwester, dass diese Menschen von Mitarbeiterinnen auf den Bahnhoefen aufgelesen werden. Die meisten waeren drogensuechtig gewesen, und der Alkohol haette ihre Gesundheit weiter verschlechtert. Die verbundenen Beine seien Zeichen fuer die Injektionswunden. Nur etwa vier Schwestern seien sie hier, aber auch viele Freiwillige aus allen Laendern der Erde. Wie koennte man sonst 200 Menschen beherbergen, meint sie laechelnd. Einmal in der Woche komme ein Arzt her, und Essen und Medikamente mussten sie von den Spendengeldern kaufen. Sie scheint ein bisschen belustigt zu sein ueber die Fragen des europaeischen Priesters und meint, dass sie, wenn sie einmal keinen Priester fuer die Messe haetten, dann beim nahegelegenen Seva Kendra-Zentrum nachfragen wuerden - wo ich untergebracht bin/

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Donnerstag, 18. August 2011

Erwachen

Heute bin ich mehrfach erwacht.
Das erste Mal um 9 Uhr - da haette ich schon mit Matheo wegfahren sollen.
Dann, auf andere Weise, im Botanischen Garten. Nach dem Getriebe und Geschiebe auf den Strassen, wo Lastwagen und Busse am Heck die Aufforderung zum Hupen spazierenfuehren, ploetzlich solche Stille. Wunderliche Vogellaute, die eher in einen tropischen Urwald gehoeren als in eine Grossstadt. Still liegfende Wasserflaechen, die sogleich die eingehaemmerten Warnungen vcor Moskitows wachrufen, von denen keine einzige zu sehen war. Diesmal war es eine Art Zu-mir-Kommen, die nichts mit dem Ort zu tun hatte. Im Gegenteil, der Urwald-Park versetzte mich aus Zeit und Raum heraus, das koennte in Afrika eher sein als in Indien oder Europa. Und es konnte sein, als die Englaender hier mit ihren Teeplantagen begannen, oder als die Inder das Gelaende wiederentdeckten nach dem Bau der Bruecke. Oder es koennte auf einem unbekannten Planeten sein, mit neben dem Bildrand vorbeihuschenden unbekannten Wesen. Mehrmals schwindelte mir beim Aufblicken, und noch mehr, als ich beim Zurueckgehen all die Baumwunder wieder auf einen Weg reihen musste - man denke an die Banyanfeige, einen Baum mit mehreren hundert Meter Umfang, der mit seinen Luftwurzeln wie ein eigener Wald dasteht, oder an die vielen Teichufer, die dir den Kopf verdrehen wegen ihrer Aehnlichkeit./

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Aber das wirkliche Labyrinth ist die Stadt. Stundenlang faehrst du durch unzaehlige Gassen, die einmal links von im Schlamm stehenden garagentorgrossen Werkstaetten und Geschaeften, rechts von mehrstoeckigen Wohnhaeusern gesaeumt sind, manchmal beiderseits von Fabriken hinter Mauern; oft mit halbmetertiefen Loechern, die manchmal wiederum mit Ziegelsteinen oder Bauschutt aufgefuellt sind. Das alles wird aber, gleich ob Hauptstrasse oder Seitengaesschen, von einem wabernden Strom von Rikschafahrzeugen erfuellt, die teils zu Fuss gezogen, teil mit Fahrradantrieb, teils wie Mopeds jede Luecke zwischen Autos, Bussen und Lastwagen ausfuellen, dazu Lasttraeger oder solche, die auf Lafetten riesige Stahltraversen schieben. Dass hier Linksverkehr herrscht, ist in diesem Durcheinandergeschiebe beinahe schon wieder vergessen, und mitunter schiebt ein Laster verkehrt aus einer Einfahrt zurueck, dreht ein Rikschafahrer um oder parkt ein Tankwagen in der Strassenmitte, auf dessen Heck in Leuchtschrift prangt: HIGH FLAMMABELE. Da erfasste mich von neuem Schwindel/

Schliesslich aber konnte ich mich dem Fahrer ueberlassen und schlief ein, wohl ueber eine Stunde. Und dieses Erwachen dauerte nun laenger an. Wir waren in Kalighat gelandet, dem Tempel der Goettin Kali, dem wichtigsten der Stadt. Unermesslich lange Pilgerschlangen bis in den Vorhof hinaus, und auf den Stiegen zum Heiligtum hinauf praesentieren sie ihre Schaelchen mit Hibiskusblueten und Raeucherstaebchen. Und nachdem sie einen Blick erhaschten von dem Goetterbild, und Aug in Aug standen mit der Gottheit, und nun die Erfuellung ihrer Bitte erwarten durften (besonders fuer Fruchtbarkeit ist Kali zustaendig), da bekamen sie noch beim Abwenden einen roten Punkt auf die Stirn gezeichnet, als von der Goettin Bezeichnete, und manche brachten noch weitere Opfer dar in einer Nebenkapelle. Frueher, so sagte mir Direktor Ronald, waeren hier Menschen geopfert worden, aber heute noch bei grossen Festen Ziegen und Laemmer. Die Goettin des Lebens naehrt man mit Lebendigem.
Der Hinduismus, so sagte mir ein interessierter Mann, der mich in der dem Heiligtum gegenueberliegenden Saeulenhalle beobachtet hatte, sei eine von Brauchtum bis ins Kleinste geregelte Lebensweise - keine Religion. Und Ronald betonte spaeter am Abend, dass es eine total individualistische Verehrung der Gottheit waere, immer stehe ein einzelner dort, haette seine eigenen Opfergaben und seine eigenen Wuensche. Der Buddhismus wuerde keine Gemeinschaft bilden, obwohl die Menschen hier Tag und Nacht zwischen anderen eingepfercht sind/

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Vor dem grossen Tempel lagen noch andere Schreine, sowie ein Ghat am Fluss, an dem Waschungen stattfanden. Daran grenzte ein Pilgermarkt, denn wie fromm und erwartungsvoll die Menschenschlange im Tempel auch gewesemn gewesen, desto froehlicher und ausgelassener kaufte und ass man nun, spielte mit den Affen oder kraulte die Rinder, die, so Ronald, als Inkarnationen der Kali galten/

Mittwoch, 17. August 2011

Damit ihr seht,

WAS ICH SEH....



Nun, Peter hat mich gut hingebracht!

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Und so schauts hier aus:

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Man kann sehen, wie Laerm und Ruhe einander abwechseln, Geschaeft und Gebet. Und das alles an einem einzigen Tag/Nachmittag! (hier ist es jetzt 3/4 6 Uhr!), trueb und warm, aber nicht heiss - und erst jetzt, als ich schreibe, beginnt es richtig zu regnen. Ich bin gut angekommen und aufgenommen worden, bin Gast in einem katholischen Haus. Geplant sind noch zwei Tage Kalkutta, und dann Asansol.

So weit einmal fuers erste!


Und hier wohne ich in Kolkata:
http://www.sevakendracalcutta.org/
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