Samstag, 27. August 2011

Was ich heute sah und hoerte

Ich sah: Bereits um sieben Uhr morgens den Kangchendzonga, ueber 8600 Meter hoch, hoechster Berg Indiens und dritthoechster der Welt, weiss strahlend wie ein Koenig, Herrscher ueber Himmel und Welt.
Und ich hoerte ein unbeschreiblich lautes Schnarren aus einer Baumkrone am Fusse des Tiger Hill, das ich zuerst fuer ein Transformatergeraeusch oder etwas Aehnliches halten wollte. Grillen und Zickaden wohnen doch nicht so hoch! Beim Hinuntergehen klang es vom benachbarten Baum.
Ich sah, wie ein Gleiswart mit einem Werkzeug den Sand aus den Schienen kratzte am Bahnuebergang, bevor der Zug aus dem Bahnhof kam. Auf der Strecke tat das niemand, da musste der Spurkranz sich durch den Sand schneiden, der sich immer wieder zwischen den Gleisen sammelte, die oft zugleich Gehwege waren.
Ich hoerte Musiker vor einer Schule auf der Strasse spielen. Ein Mann, den ich fuer blind hielt, tanzte mit den Fingern ueber die Tasten eines vielleicht selbstgebauten Instruments, waehrend er mit der anderen Hand die Vorderwand des Kastens auf- und zuklappte, als waehre sie eine Luftpumpe. Zwei Frauen begleiteten ihn, ebenfalls am Boden hockend, mit Trommeln und Gesang. Jedes Lied hatte mehrere Strophen, aber dann immer einen schnelleren Teil, in dem ich in den virtuosen Spiel jazzige Harmonien zu hoeren glaubte. Die Kinder standen auf der Veranda, und ich wusste nicht, ob sie mehr wegen des Spiels oder wegen meines Fotographierens feixten.
Ich sah hunderte laechelnde Gesichter, denn ich habe bald bemerkt, dass jeder, den man gruesst oder auch nur freundlich ansieht oder anlaechelt, freudenstrahlend zurueckgruesst, oder schon zuerst gruesst. Das war so bei Maennern und Frauen, bei Jugendlichen und Kindern. Ich habe sogar getestet, ob der Zauber auch bei muerrischen oder streitenden Menschen wirkt: Ja, er wirkt, sobald nur ein Blickkontakt entstehen kann. Eine weitere Wirkung dieses Geheimnisses ist, dass ich immer aufrechter gegangen bin, und immer leichtfuessiger.
Ich hoerte die Gesaenge der Moenche im Dervati-Tempel, der maerchenhaft im Zedernwald des Tiger Hill liegt. Glaeubige betraten eines der Heiligtuemer, die jeweils einen Aspekt der Gottheit praesentierten, beugten sich mit Opfergaben ueber den Altar und neigten sich zum daneben sitzenden Priester, der ihnen das Tilaka auf die Stirn zeichnet, den roten Bindi-Punkt. Als ich im groessten Heiligtum mit den Priestern sprach, die neben den Standbildern und zwischen Felsen und aus der Erde quer durch den Raum ragenden Baumstaemmen sassen, und als sie erfuhren, dass ich auch Priester war, erboten sie sich, mir auch einen Bindi auf die Stirn zu zeichnen, und schenkten mir einen Gebetsschal und eine Banane.
Ich sah einen Buddha-Macher, der in einer Garage an der Arbeit sass. Fuer die grossen Statuen brauche er sechs Wochen. Sie wuerden aus verschiedenen Arten von Ton und Lehm gemacht in vielen Arbeitsschritten und waeren innen hohl. Aber es gaebe nur wenig Auftraege fuer so grosse Figuren, und er stelle hauptsaechlich kleine handliche Figuren her.
Ich hoerte den Ratschlag eines Jungen, der mich schon laenger beim Gehen und fotographieren beobachtet hatte, als er mir eine bestimmte Perspektive fuer ein Foto empfahl. Es ging um Haeuser, die in einem Strassenbogen zum tiefen Graben hingewandt standen und ihm viele Stockwerke mit Balkonen hinhielten, die meisten mit Kleidungsstuecken drapiert. Beim Weitergehen stellte er sich als Tibeter vor, dessen Grosseltern vor der chinesischen Invasion 1949-59 hierher gefluechtet waren. Die Bevoelkerung der ganzen Region bestehe heute zu mindestens 90 Prozent aus Tibetern. Die Bengali, die ich auch gesehen hatte, seien Urlauber oder haetten sich eine der Villen eben jener Gegend gekauft, durch die wir gerade gingen.
Ich sah herumziehende Nebelschwaden und Wolken, die sich ueber die gewellte Erdoberflaeche schoben und aus Taelern aufstiegen, als sollte nicht alles zugleich sichtbar sein, wenn man eine hoehere Position erreicht hat; als gaelte es, noch etwas zurueckzuhalten und nicht alles sogleich preiszugeben. Und die gefundene Ruhe und Besonnenheit schien ihnen rechtzugeben.

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