eindruecke

Montag, 31. Juli 2023

wild

eine schlange.
wie ein stock, der, silbrig flimmernd, eilig über die am sonntag recht leere straße strebte.
diese schlange sollte das einzige wildtier bleiben, das sich sehen ließ.
die hunde, die überall gemächlich zwischen den fahrenden autos trotten oder am straßenrand wie tot auf der seite liegen, zähle ich nicht zu den wildtieren, ebensowenig wie die vögel, die gänzlich respektlos unter den vordächern knapp über unseren köpfen auf ein unbekanntes ziel zujagen, einfach, weil ich sie nicht kenne.
die streifenhörnchen können auch schwerlich als wild bezeichnet werden, eher als keck, als mich in der rezeption des spice village, als ich wie ein staatsgast begrüßt wurde, die zeremonie gänzlich missachtend, eines in munteren trippelschritten umkreiste, sodass die in grüne saris und schals gekleideten empfangsdamen irritiert waren.
die perlhühner wiederum wird niemand als wild bezeichnen, wenn sie in unverständlicher plötzlicher eile in einer reihe über das gelände des spice village trippeln, weitgehend lautlos, nur dann, wenn eines der acht den anschluss verloren hat, kläglich fiepend an der wegkreuzung.
also nur ein wildtier.
es gab nämlich eine safari.
es hätte vielleicht elefanten geben können oder gazellen oder, wer weiss, vielleicht einen tiger.österreichische medien erzählen gerade aufgeregt, dass sich die indische population vergrößert hat. ich dachte an den gummitiger, der lebensecht im wald von trettnig hoch oben am hang geduckt steht und mit pfeil und bogen zu treffen ist und von mir auch getroffen wird.
nicht hier.
hier trafen wir nur eine schlange.
als wir mit dem jeep - sonst darf man es nicht safari nennen - über die ersten rumpeligen kurven knatterten und von weiteren jeps, vollgestopft mit abenteuerlustigen jungen leuten, überholt wurden, zweifelte ich bereits stark an der sache. als wir uns mit motorengeheul zentimeterweise über riesige steine in der fahrspur hinauf- und hinunterquälten, wäre ich lieber gelaufen - und hätte bestimmt kaum die halbe zeit gebraucht.
doch schließlich standen wir am aussichtsplatz, etwas abseits von den anderen zehn jeeps, immerhin drang noch kichern und musik herüber.
der fahrer musterte mit kennerblick bestimmte zonen auf dem halb wald-, halb grasbedeckten schroffen berg gegenüber und deutete bald aufgeregt auf einen punkt.
büffel, rief er, büffel!
im fernglas sah ich nichts, ohne fernglas sah ich nichts.
sie strebten auf die kuppe zu, sagte er und erklärte mir die stelle.
in der folgenden stunde blickte ich immer wieder hin zu genau dieser stelle und suchte wieder und wieder diesen berg und alle anderen berge hinter dem schutzzaun ab, ohne ein wildtier zu entdecken, selbst die vögel, in mit kühnen flugmanövern in viererformation, blieben fern genug, um nicht erkenbar zu sein. außer den kichernden und aufgeregten fahrgästen der anderen jeeps war nichts zu sehen und zu hören, abgesehen von dem müll, der entlang unserer beobachtungsroute im hohen gras lag.
ich erzählte dem fahrer von anderen wildtierbeobachtungen und auf welchem weg ich auf diesen berg hinauflaufen würde, hinter dem angeblich die büffel verschwunden waren und noch andere große und kleinere wildtiere die indischen wildtierreservate durchstreiften, aber er nannte es verboten.
so eierten wir schließlich über glattgefahrene steinübersäte safaripisten vom aussichtsberg herunter in ein dorf zu einem wasserfall, wo weitere jeeps zu sehen waren wie auch einige jugendliche, die am staubigen platz fußball spielten und mit denen ich bald im gespräch war, als der fahrer einen tee trank.
auf der rückfahrt besichtigten wir noch eine am sonntag menschenleere teeplantage, und der fahrer zeigte und erklärte mir, wie und wie oft die teesträucher geschnitten würden.

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Sonntag, 30. Juli 2023

sonntag

die christlichen heiligenbilder ähneln oft sehr den indischen götterbildern, der blick nach innen, das leere, milde lächeln, die freundliche, unverbindliche gesamtwirkung. und die grellbunten farben. das ist bei orthodoxen und katholischen kirchen gleich. ebenso gleich sind die weithin sichtbaren namen des heiligtums in großer schrift beim eingang.
(man muss dazu sagen, dass es hier nicht einmal ortsschilder gibt!)
in dem ansonsten völlig überladenen museum in kochi, wo vor hunderten und tausenden zusammengepferchten holz- und steinfiguren gar keine sichtbar ist, habe ich dennoch eines gesehen und erkannt: die farbigen mauerbilder oben an der wand zeigen eine ballettsprache, einzelne körperhaltungen, gesten, grimassen, welche auch im tempeltanz zu sehen waren, wo neben dem hindutempel vor hunderten aufmerksamen gläubigen ein eingespielter gesungener versepos im tanz kunstvoll dargestellt wurde. sogar die tänzerinnen ähnelten den bildnissen bis zum gesichtsausdruck.
soll man sagen: vergegenwärtigung des heiligen?
soll man sagen: verlebendigung des wortes?
erinnerung an ergangenes?
in beiden religionen, mit ganz ähnlichen mitteln.
es sind dieselben menschen.
sie wohnen in der gleichen gasse.
essen dieselben speisen.
haben samstag (die juden) und sonntag "holy day"
mein sonntag begann in der orthodoxen kirche.
dicht zusammenstehende männer (links) und frauen (rechts).
wenig platz und spielraum für den zelebrierenden priester.
aber ein bis ins kleinste durchkomponiertes ritual, bis zu den gängen und verbeugungen der ministranten, dem schwenken der weihrauchkesseln und dem rasseln der liturgischen glöckchen. und besonders der gesang. durchgehend, vom priester und vom kantor, ohne innehalten, einmal hin zum heiligtum, einmal zur gemeinde, auch mitsingen der gemeinde bei bestimmten teilen, oftmals bekreuzigungen als stumme mitteilung und übrreinstimmung, als sammlung der gemeinde.
auch der bärtige priester ähnelt den heiligenbildern.
ist es ein gleichbleiben?
ein gleichwerden?
mein sonntag ging mit indischer musik zu ende, von der man sich wünscht, sie ginge niemals zu ende, leicht und verspielt wie fahrende wölkchen am himmel, doch immer wieder mit einem pathos, einer bedeutsamkeit, die dich innehalten lässt.
so könnte man leben

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Freitag, 16. September 2011

Nachmals ein Ankommen

Am selben Dienstag, an dem ich um 4:30 Uhr im Hotel in Delhi aufgeweckt wurde und mich fertig machte zur Abreise, an demselben Dienstag kam ich noch vor Mitternacht in meiner neuen Heimat an. Ich hatte die letzten Stunden im Zug bereits tief geschlafen, wurde aber wachgeklingelt und trat benommen in die Bahnhofshalle, um meine Abholerin zu suchen.
Als sie mich in mein neues Heim brachte, wo ich alle meine Sachen bereits verstaut wähnte und gespannt war, wo man mein Bett wohl aufgestellt hätte, da sah ich neben meinem Auto, dass ich schon vor der Reise hier abgestellt hatte, noch das des bisherigen Pfarrers in der Garage, und gleich darauf auch diesen selbst bei Licht in seiner Küche, wo sich Hausrat in Schachteln türmte. Er schien erstaunt über mein Erscheinen und führte mich ins Gästezimmer, wo ich zwischen Schachtelbergen auf dem Sofa meinen Hüttenschlafsack hervorkramte - nicht ohne das Fenster zu öffnen und die Rollos hinaufzukurbeln, um Luft ins muffige Kämmerlein zu lassen. Lange ärgerte ich mich in den Schlaf und konnte nicht begreifen, woran die lange abgemachte Übersiedlung gescheitert war. Später schreckte ich hoch und blickte mich um: Mir wollte nicht einfallen, wo ich war, umgeben von Gebilden im Fahllicht: In welchem indischen Tempel war ich eingeschlafen?
Zeitig erwachte ich morgens wieder und wartete, bis ich den Übersiedlungsdienst anrufen konnte. Es stellte sich heraus, dass dieser, der Vorbewohner sowie mein Büro jeweils auf den Anruf und die Initiative der anderen gewartet hatten. Ein echt indisches Ende

Samstag, 10. September 2011

Nochmals zum Warten...

Hier der versprochene Beitrag zu den Bahnhöfen. Die Bilder stammen vom Hauptbahnhof in Delhi - und sind vielleicht nicht einmal so repräsentativ: viele "kleinere" Bahnhöfe waren da lebendiger und boten mehr Überraschungen, z.B. tierischer Art...

Aber seht selbst:

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Sonntag, 4. September 2011

Im Labyrinth von Varanasi

Es hat so begonnen, dass Sandro von einem bestimten Restaurant gehoert hatte, und wir dort an unserem letzten Tag in dieser Stadt essen wollten. Als wir in die Motorrikscha stiegen, begann der Regen herunterzuprasseln, die Strassen leerten sich. Der Fahrer verschloss sorgsam den Einstieg zur Sitzbank und fuhr unverdrossen weiter. Aber das letzte Stueck des Weges verlief durch eine Fussgaengerzone, da mussten wir laufen. Die Verkaeufer hatten gelassen Planen ueber ihre Staende gezogen, die Kaeufer wateten durchs Wasser, hielten einen Schirm oder und zogen die Dupatta fester ueber den Kopf. Ich versuchte, ueber die Pfuetzen zu springen, aber als sich Stroeme aus den Seitengassen ergossen, watete ich mit den Sandalen bis zu den Knoecheln in der braunen Schwemme. Nach vielem Fragen gerieten wir in die Seitengassen der Seitengassen, der Weg veraestelte sich immer weiter, die Gaenge schienen den Atem einzuschnueren. Schliesslich fanden wir selbst die Spur und konnten nun Schildern folgen, an kleinen Tempeln vorbei, dann stand eine Kuh in der Gasse, es spielten Kinder, es sass ein blinder Bettler im Schlamm, zuweilem mussten wir ueber Stufen steigen, immer wieder scharf abbiegen, uns der Einladungen erwehren, zum Haareschneiden, Seide kaufen, einen Stadtfuehrer engagieren, einen Bootsausflug zu machen. Zum Restaurant mussten wir fuenf Stockwerke hochsteigen und sassen dann auf einer ueberdachten Terrasse, hoch ueber dem Ganges.

Als wir nach der langen Essenspause wieder einigermassen trocken waren und nochmals ins Labyrinth stiegen, wurden wir auf eine Verbrennung an einem Ghat aufmerksam gemacht. Und wieder ging es durch winzige Gassen, an Kapellen und Latrinen vorbei, an Wasserhaehnen, wo Menschen ihre Flaschen auffuellten, manchmal an Verkaufsstaenden, zuweilen stand eine Tuer offen und liess den Blick in den Hof ein, oder in ein Wohnzimer, wo im Halbdunkel drei Tanten sassen und dem Grossvater die Fingernaegel schnitten. Und als sich der Blick zu oeffnen begann und die Hauswaende auseinandertraten, da schlug uns beissender Rauch entgegen. Grosse Mengen Holz waren aufgeschichtet neben dem Fluss, und da Hochwasser war und die Stufen ueberflutet, draengte sich alles zusammen am Ufer, und einige waren in ein Haus gestiegen und wohnten der Zeremonie wie von einer Galerie aus bei. Grosse Aufregung herrschte, je naeher ich dem Feuer kam - ich wurde geduldet, durfte aber das Feuer nicht fotographieren. Hinter einer Mauer wurde ganz nah am Fluss ein Leichnam verbrannt, und die Stadt wartete darauf, die Asche in den Fluss zu streuen. Die Familienangehoerigen umkreisten die Feuerstelle und stocherten darin herum, der Sohn sollte die Hirnschale aufknacken, damit die Seele entweichen konnte.

Wir aber entwichen durch das enge Gassengewirr, durchstreiften Rauch und Pissegestank, schuettelten den Tod ab und Schlamm und Rinderkot und traten schliesslich, frei aufatmend, auf die Strasse hinaus.

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Freitag, 2. September 2011

Die Erleuchtung

Bodhgaya ist der Ort, an dem Siddharta, nach langem Suchen und Aufbrechen, schliesslich, unter einem Bodhi-Baum meditierend, die Erleuchtung fand und der Buddha wurde. Der Mahabodhi-Tempel markiert jenen Ort und bietet Ruhe und Stille zur persoenlichen Andacht. Die vielen Tempel und Herbergen rundum aber dienen den Pilgern aus vielen Laendern und stehen also fuer den Aufbruch und das Unterwegssein. Erkenntnis und Weisheit sind also weniger vom Schreibtisch aus, und schon gar nicht von einem Leben in Alltagsgeschaeften zu erwarten, sondern benoetigen ein Unterwegssein mit der ganzen Existenz.
Vielleicht koennte unser Reisen dafuer auch ein Bild geben, fuer das doch Anstrengung und Selbstueberwindung immer wieder gefordert sind. Andererseits geht unser diskursives Denken, mit dem wir uns auf Begegnungen vorbereiten und Erfahrungen reflektieren, doch immer in das Viele und Verschiedene, und nicht in die Einheit. Unsere Kultur sucht die Trennung und Unterscheidung, sei es zwischen Voelkern und Religionen, sei es zwischen den einzelnen Menschen, oder auch zwischen Mensch und Gott - ja sogar innerhalb Gottes. Einheit erwarten wir hoechstens von augenblickhaften Vereinigungen zwischen Liebenden oder mystisch zwischen Mensch und Gott. Aber das sind Ereignisse, keine Lebensziele oder Prinzipien.

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Die Ghats von Varanasi

Neben den Tempeln und den vielen Andachtsbildern, die wie Kapellen ueberall an den Strassen stehen, ziehen die Ghats pausenlos Glaeubige an. Mehr als anderswo sind am Ufer des Ganges Glauben und Leben eins, und rituelle Waschungen, nachdenkliche Pausen, Geplauder mit den Nachbarinnen, Opferhandlungen und Verkaufsstaende fuer Opfergaben, Bettler und Strassenmusiker, Kinder und Asketen draengen sich in den schmalen Gassen, umsomehr, als der hohe Wasserstand die Stufen verkuerzt hat.

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Donnerstag, 1. September 2011

Ueber den unbeschreiblichen Strassenverkehr in Indien

Waehrend in der Stadt alle Strassenbenuetzer gleichberechtigt erscheinen, also Fussgaenger, Rad- und Motorradfahrer, Rickschafahrer mit Rad oder Motor, Autos, Lastwagen, Autobusse, Ziegen, Rinder, Hunde - so ist auf der Autobahn eine klare Hierarchie erkennbar. Das Feld beherrschen eindeutig LKWs, zumeist TATA-Fabrikats, in russischer Zweimeterspurbreite, sehr oft auch mit meterhohem Aufbau. Auf der Stossstange steht 40 km, und das wird auch selten ueberschritten. In langen Reihen oder einzeln sind sie bevorzugt in der Strassenmitte unterwegs, wenn die langsame Spur von parkenden Autos, Mopeds oder Gegenverkehr benutzt ist, oder auch sonst, auf der schnellen Spur. Als PKW-Fahrer naehert man sich ihnen standesgemaess folgendermassen: 1. Annaeherung bis auf Hoerabstand, 2. Vorentscheidung, auf welcher Seite ueberholt werden soll, 3. laute Hupsignale, und auf die Reaktion warten, 4. ein allmaehliches Abdrehen des LKW auf eine Seite zum Ueberholen nutzen, dabei aber weitere auftretende Hindernisse im Auge behalten, wie Unterbrechungen des Fahrbahnbelags, Fussgaenger oder Tiere auf der Fahrbahn. Indische Fahrer benoetigen dabei selten mehr als 2000 Motorumdrehungen, vorzugsweise bei 50 im fuenften Gang. Auf entgegenkommende LKWs reagiert man gelassen, grundsaetzlich werden die Richtungsfahrbahnen schon eingehalten. (Um den kontinentaleuropaeischen Leser nicht zu verwirren, gehe ich erst gar nicht auf den vorherrschenden Linksverkehr ein)

Besondere Ereignisse auf der Autobahn sind von Parkplaetzen auf die Fahrbahn zurueckstossende Lastwagen, zuweilen auch mit Anhaenger - wobei in der Regel eine Aufsichtsperson hinter dem Fahrzeug in die Fahrbahnmitte hineingeht und den Fahrer einweist, sowie Blickkontakt mit den herannahenden Strassenbenbuetzern haelt. Schwer zu sagen ist es, ob Rinder, die auf dem Gruenstreifen zwischen den Fahrbahnen weiden und sich anderer Wiesen erinnern, oder Frauen, die mit auf dem Kopf meterhoch aufgetuermtem Heu, das ueber die Augen herabhaengt, die Fahrbahn queren, leichter einzuschaetzen sind.

Was ich heute noch auf der Autobahn gesehen habe: Einen invaliden Dreiradfahrer, der mit den Haenden kurbelte. Einen Soldaten, der seiner vom Wind verblasenen Zigarettenschachtel minutenlang ueber alle Fahrspuren nachjagte, bis alle Herankommenden zum Stillstand kamen. Arbeiter, die Reifen wechselten am LKW, der auf der langsamen Spur abgestellt war, und zwar immer so, dass sie sich auf der schnellen Spur ausbreiteten. Einen Hund, der nach einigem Zickzack in unser Auto hineinlief, von der Stossstange hinuntergeworfen wurde, hinter uns einige Purzelbaeume schlug, aber dann wieder von der Fahrbahn taumelte. Uebrigens liegen immer wieder Hundekadaver halbverwest mitten auf der Fahrbahn.

Grundsaetzlich sollte gesagt werden, dass der Verkehr auf gaenzlich anderen Prinzipien beruht wie bei uns. Jeder Teilnehmer ist vorhanden und hat somit Existenzrecht. Das bedeutet, dass der Blick nach vorn geht, zu den anderen sichtbar vorhandenen Teilnehmern, die einem vorgesetzt sind. Wer nachkommt, muss fuer sich selbst sorgen. Richtungsaenderungen sind jederzeit noetig, damit wird vom Nachkommenden gerechnet. Dabei verlaesst man sich eher auf Handzeichen als auf Blinklichter, denn Elektronik kann bekanntlich leicht irren. Hierin ist der indische Verkehr dem europaeischen schon weit voraus, der sich allerdings in dieselbe Richtung bewegt. Ich rechne mit der baldigen Auflassung der gelben Blinkzeichen.

Im dichten Stadtverkehr ist bedeutsam, dass die ueberragenden Hecks von LKWs und Autobussen fast immer in der Hoehe der Windschutzscheibe der PKWs sind, wodurch man sich bei beengten Verhaeltnissen ein wenig unterschieben kann. Das ist jedoch nur dort zu empfehlen, wo keine tiefen Schlagloecher zu erwarten sind. Die behendesten Fahrer sind nach unserer bisherigen Erfahrung eindeutig die Motorrickschafahrer. Das dreiraedrige Fahrzeug erinnert an das Autodrom im Prater, hat einen aehnlichen Einschlag, aber viel bessere Beschleunigung. Gewoehnliche PKWs werden trotz Gegenverkehrs ueberholt, weil meist der Entgegenkommende im letzten Moment ausweicht oder sich eine andere Loesung auftut. Hier ist der umfassende Spurenwechsel sehr beliebt, hat dabei aber ernste Konkurrenz von Fahrraedern und Motorraedern. Bei Sandro ist dieses oekonomische Verkehrsmittel jedoch weniger beliebt, und ich habe Anzeichen von Uebelkeit bei ihm bemerkt, die nichts mit der Ernaehrung zu tun hat. Deshalb werden wir morgen wieder die Eisenbahn benutzen.


Seht euch mal das an!

http://www.youtube.com/watch?v=uyPsLOevmng&feature=mfu_in_order&list=UL

Mittwoch, 31. August 2011

Erste Begegnung mit dem Heiligen

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Der neue Vishwanath-Tempel liegt am Campus der Hindu-Universitaet von Varanasi, ein schattiger Park, der Luft zum Atmen gibt. Neben dem Haupttempel steht wie ein Pavillon auf Stufen ein anderer Tempel, und in seiner Mitte ein Brandopferaltar. Ich sehe, das sich eine Zeremonie anbahnt, und werde auch herangewinkt und begruesst. Die Priester treffen ein, legen ihre Gewaender an und richten ihre Utensilien her, plaudernd und scherzend wie in der Sakristei. Es formiert sich eine Sitzordnung neben dem Altar, und seitlich an einem geschmueckten Heiligtum, das aus einer Messingglocke besteht. Unter Gesaengen, die litaneiartige Rezitationen sind, praesentiert der Hauptzelebrant nach und nach alle Opfergaben und ordnet sie um die Glocke an. Waehrend sich Priester sehr auf den Text konzentrieren und manche Muehe zu haben scheinen, holt sich der Zelebrant immer wieder Anweisungen von einem seitlich stehenden Zeremonienmeister, der auf einem Zettel Ablauf und Sitzordnung kontrolliert und manches Stichwort gibt. Neben ihm steht ein weiterer Mann mit einer Nicon-Spiegelreflexkamera, und auch er wirft zuweilen Kommentare ein, worauf der Priester eine Handlung wiederholt, damit sie gut ins Bild kommt - wovon ich auch profitiere.
Schliesslich, als die Gabensegnung beendet ist, beginnt der Mesner im Altar Rinden- und Holzstuecke aufzuschichten sowie Palmblaetter mit Nuessen rundherum zu verteilen. Die Priester nehmen um den Altar Platz, der Oberpriester spricht unter Gesaengen Gebete, giesst fluessige Butter ins Feuer und uebergibt die Weihegaben dem Feuer. Dann streuen auch die rundum Sitzenden ihre Gaben hinein. Schliesslich kommt das Schlussgebet, und alle verneigen sich und springen auf.
Wenn sie waehrend der Zeremonie durchaus registrierten, wie ich filmte und fotographierte, und, wenn ich einen im Visier hatte, sich darueber belustigten, so draengen sie sich nun zusammen und halten scheu Abstand von mir. Immerhin reicht man mir als erstem von den uebrigen Opfergaben, einen Opferkuchen und eine Banane. Doch als mich einige spaeter mit dem Fahrrad oder Motorrad in der Allee am Heimweg ueberholen, gruessen sie freundlich.

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Der Eintritt in den Durga-Tempel, den ich spaeter besuchte, verlief ganz anders. ich fand das leuchtend rote Heiligtum neben staubigen und belebten Strassen. Gleich im Portal, nachdem ich die Schuhe ausgezogen hatte, wurde ich mit dem roten Punkt gesegnet, und man fragte nach meinen Opfergaben. In den Hof tretend, sah ich das Gottesbild von goldenen und silbernen Strahlenkraenzen umgeben, und Glaeubige warfen sich davor nieder. Bald wurde ich zum Shiva-Schrein geschoben, wo mir Segen versprochen wurde. Es war nicht nur diese Vereinnahmung, die mich zoegern liess, sondern noch mehr die vielen Fliegen und Wespen, die um die am Boden liegenden Obstreste kreisten. Von da an sah ich in der ganzen Stadt die Fliegen.

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Unser Hotel liegt gleich neben dem Assi-Ghat, wo Scharen von Menschen an Reinigungszeremonien teilnehmen und sich rituell im Ganges waschen. Ich selbst bedurfte jedoch keiner Waschung mehr, denn das priesterliche Segensmal auf meiner Stirn stellte mich in eine andere Kategorie.

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Dienstag, 30. August 2011

Schauspiel

Die neun Stunden, die uns nach unserem naechtlichen Ausflug in die erste Klasse bleiben, in denen wir uns immer wieder von einer auf die andere Seite setzen und das von der schwuelen Luft klebrige Gewand zurechtzupfen, bekommen wir ein nie endendes Schauspiel vorgefuehrt. Wie auf einer Laufbuehne erscheinen, jeweils von ihrer eigenen Sprechmusik angekuendigt, die unwahrscheinlichsten Sagengestalten und praesentieren ihre Schaetze.
An uns ziehen vorbei eine geschulterte Kiste mit Wasserflaschen,
ein Blechkuebel mit Bohnengemuese, in dem eine Blechschaufel steckt, wie ich sie daheim zum Ascheschaufeln verwende,
ein Tablett mit frisch gehackten Zwiebeln und Chillischoten,
geschaelte, geschnittene und gesalzene Salatgurken,
gebackene Plaetzchen,
Plastikkanister mit gesuesstem Milchtee,
Gemueseleibchen in Zeitungspapier,
ein Eimer mit Nuessen
und unzaehlige andere Koestlichkeiten, die ich nicht erkannt oder gar nicht gesehen habe; dazwischen aber auch Maenner mit Plastikspielzeug, das in einem grossen Nylonsack ueber dem Ruecken getragen wird,
mit Handysteckern, Werkzeug, Kugelschreibern, Wollschals,
einer trug eine bunt bedruckte Plastikplane, breitete sie aus und erklaerte ihre Vorteile,
einer erbot sich, die Schuhe zu putzen.
Ein Mann ohne Beine robbte, auf die Faeuste gestuetzt, durch den Gang und sah einen nach dem andern stumm und ernst an.

(Sandro hat sich brav an meine Warnung vor offenen Speisen gehalten, ich habe zum Fruehstueck einen staniolverpackten Gummitoast mit Omlette gegessen und zu Mittag einen gezuckerten Milchkaffee getrunken.)

Aber das wirkliche Indien kann man an den Bahnhoefen studieren. Darueber ein andermal.
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um sechs uhr früh sind die straßen fast leer. bald...
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