Erwachen

Heute bin ich mehrfach erwacht.
Das erste Mal um 9 Uhr - da haette ich schon mit Matheo wegfahren sollen.
Dann, auf andere Weise, im Botanischen Garten. Nach dem Getriebe und Geschiebe auf den Strassen, wo Lastwagen und Busse am Heck die Aufforderung zum Hupen spazierenfuehren, ploetzlich solche Stille. Wunderliche Vogellaute, die eher in einen tropischen Urwald gehoeren als in eine Grossstadt. Still liegfende Wasserflaechen, die sogleich die eingehaemmerten Warnungen vcor Moskitows wachrufen, von denen keine einzige zu sehen war. Diesmal war es eine Art Zu-mir-Kommen, die nichts mit dem Ort zu tun hatte. Im Gegenteil, der Urwald-Park versetzte mich aus Zeit und Raum heraus, das koennte in Afrika eher sein als in Indien oder Europa. Und es konnte sein, als die Englaender hier mit ihren Teeplantagen begannen, oder als die Inder das Gelaende wiederentdeckten nach dem Bau der Bruecke. Oder es koennte auf einem unbekannten Planeten sein, mit neben dem Bildrand vorbeihuschenden unbekannten Wesen. Mehrmals schwindelte mir beim Aufblicken, und noch mehr, als ich beim Zurueckgehen all die Baumwunder wieder auf einen Weg reihen musste - man denke an die Banyanfeige, einen Baum mit mehreren hundert Meter Umfang, der mit seinen Luftwurzeln wie ein eigener Wald dasteht, oder an die vielen Teichufer, die dir den Kopf verdrehen wegen ihrer Aehnlichkeit./

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Aber das wirkliche Labyrinth ist die Stadt. Stundenlang faehrst du durch unzaehlige Gassen, die einmal links von im Schlamm stehenden garagentorgrossen Werkstaetten und Geschaeften, rechts von mehrstoeckigen Wohnhaeusern gesaeumt sind, manchmal beiderseits von Fabriken hinter Mauern; oft mit halbmetertiefen Loechern, die manchmal wiederum mit Ziegelsteinen oder Bauschutt aufgefuellt sind. Das alles wird aber, gleich ob Hauptstrasse oder Seitengaesschen, von einem wabernden Strom von Rikschafahrzeugen erfuellt, die teils zu Fuss gezogen, teil mit Fahrradantrieb, teils wie Mopeds jede Luecke zwischen Autos, Bussen und Lastwagen ausfuellen, dazu Lasttraeger oder solche, die auf Lafetten riesige Stahltraversen schieben. Dass hier Linksverkehr herrscht, ist in diesem Durcheinandergeschiebe beinahe schon wieder vergessen, und mitunter schiebt ein Laster verkehrt aus einer Einfahrt zurueck, dreht ein Rikschafahrer um oder parkt ein Tankwagen in der Strassenmitte, auf dessen Heck in Leuchtschrift prangt: HIGH FLAMMABELE. Da erfasste mich von neuem Schwindel/

Schliesslich aber konnte ich mich dem Fahrer ueberlassen und schlief ein, wohl ueber eine Stunde. Und dieses Erwachen dauerte nun laenger an. Wir waren in Kalighat gelandet, dem Tempel der Goettin Kali, dem wichtigsten der Stadt. Unermesslich lange Pilgerschlangen bis in den Vorhof hinaus, und auf den Stiegen zum Heiligtum hinauf praesentieren sie ihre Schaelchen mit Hibiskusblueten und Raeucherstaebchen. Und nachdem sie einen Blick erhaschten von dem Goetterbild, und Aug in Aug standen mit der Gottheit, und nun die Erfuellung ihrer Bitte erwarten durften (besonders fuer Fruchtbarkeit ist Kali zustaendig), da bekamen sie noch beim Abwenden einen roten Punkt auf die Stirn gezeichnet, als von der Goettin Bezeichnete, und manche brachten noch weitere Opfer dar in einer Nebenkapelle. Frueher, so sagte mir Direktor Ronald, waeren hier Menschen geopfert worden, aber heute noch bei grossen Festen Ziegen und Laemmer. Die Goettin des Lebens naehrt man mit Lebendigem.
Der Hinduismus, so sagte mir ein interessierter Mann, der mich in der dem Heiligtum gegenueberliegenden Saeulenhalle beobachtet hatte, sei eine von Brauchtum bis ins Kleinste geregelte Lebensweise - keine Religion. Und Ronald betonte spaeter am Abend, dass es eine total individualistische Verehrung der Gottheit waere, immer stehe ein einzelner dort, haette seine eigenen Opfergaben und seine eigenen Wuensche. Der Buddhismus wuerde keine Gemeinschaft bilden, obwohl die Menschen hier Tag und Nacht zwischen anderen eingepfercht sind/

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Vor dem grossen Tempel lagen noch andere Schreine, sowie ein Ghat am Fluss, an dem Waschungen stattfanden. Daran grenzte ein Pilgermarkt, denn wie fromm und erwartungsvoll die Menschenschlange im Tempel auch gewesemn gewesen, desto froehlicher und ausgelassener kaufte und ass man nun, spielte mit den Affen oder kraulte die Rinder, die, so Ronald, als Inkarnationen der Kali galten/
SCHLAGLOCH - 18. Aug, 21:13

Häufiges ERWACHEN, würde für uns

alle neue Sichtweisen und Einsichten bringen. Wird nicht auch im Christentum die "persönliche Religion" für jeden gefördert?

Liebe Grüße , Franz & Rosmarie.

weichensteller - 19. Aug, 16:54

Ja,

ich denke, dass wir uns da in einem Uebergang befinden. Die sogenannte Volkskirche gibt es noch in Restbestaenden, aber eine Gemeinde wie unsere haette da keine Chance. Wir haben auf die Individualkirche gesetzt. Da steht der persoenliche Glaubensweg im Zentrum.

Liebe Gruesse an euch!
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