Mittwoch, 31. August 2011

Erste Begegnung mit dem Heiligen

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Der neue Vishwanath-Tempel liegt am Campus der Hindu-Universitaet von Varanasi, ein schattiger Park, der Luft zum Atmen gibt. Neben dem Haupttempel steht wie ein Pavillon auf Stufen ein anderer Tempel, und in seiner Mitte ein Brandopferaltar. Ich sehe, das sich eine Zeremonie anbahnt, und werde auch herangewinkt und begruesst. Die Priester treffen ein, legen ihre Gewaender an und richten ihre Utensilien her, plaudernd und scherzend wie in der Sakristei. Es formiert sich eine Sitzordnung neben dem Altar, und seitlich an einem geschmueckten Heiligtum, das aus einer Messingglocke besteht. Unter Gesaengen, die litaneiartige Rezitationen sind, praesentiert der Hauptzelebrant nach und nach alle Opfergaben und ordnet sie um die Glocke an. Waehrend sich Priester sehr auf den Text konzentrieren und manche Muehe zu haben scheinen, holt sich der Zelebrant immer wieder Anweisungen von einem seitlich stehenden Zeremonienmeister, der auf einem Zettel Ablauf und Sitzordnung kontrolliert und manches Stichwort gibt. Neben ihm steht ein weiterer Mann mit einer Nicon-Spiegelreflexkamera, und auch er wirft zuweilen Kommentare ein, worauf der Priester eine Handlung wiederholt, damit sie gut ins Bild kommt - wovon ich auch profitiere.
Schliesslich, als die Gabensegnung beendet ist, beginnt der Mesner im Altar Rinden- und Holzstuecke aufzuschichten sowie Palmblaetter mit Nuessen rundherum zu verteilen. Die Priester nehmen um den Altar Platz, der Oberpriester spricht unter Gesaengen Gebete, giesst fluessige Butter ins Feuer und uebergibt die Weihegaben dem Feuer. Dann streuen auch die rundum Sitzenden ihre Gaben hinein. Schliesslich kommt das Schlussgebet, und alle verneigen sich und springen auf.
Wenn sie waehrend der Zeremonie durchaus registrierten, wie ich filmte und fotographierte, und, wenn ich einen im Visier hatte, sich darueber belustigten, so draengen sie sich nun zusammen und halten scheu Abstand von mir. Immerhin reicht man mir als erstem von den uebrigen Opfergaben, einen Opferkuchen und eine Banane. Doch als mich einige spaeter mit dem Fahrrad oder Motorrad in der Allee am Heimweg ueberholen, gruessen sie freundlich.

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Der Eintritt in den Durga-Tempel, den ich spaeter besuchte, verlief ganz anders. ich fand das leuchtend rote Heiligtum neben staubigen und belebten Strassen. Gleich im Portal, nachdem ich die Schuhe ausgezogen hatte, wurde ich mit dem roten Punkt gesegnet, und man fragte nach meinen Opfergaben. In den Hof tretend, sah ich das Gottesbild von goldenen und silbernen Strahlenkraenzen umgeben, und Glaeubige warfen sich davor nieder. Bald wurde ich zum Shiva-Schrein geschoben, wo mir Segen versprochen wurde. Es war nicht nur diese Vereinnahmung, die mich zoegern liess, sondern noch mehr die vielen Fliegen und Wespen, die um die am Boden liegenden Obstreste kreisten. Von da an sah ich in der ganzen Stadt die Fliegen.

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Unser Hotel liegt gleich neben dem Assi-Ghat, wo Scharen von Menschen an Reinigungszeremonien teilnehmen und sich rituell im Ganges waschen. Ich selbst bedurfte jedoch keiner Waschung mehr, denn das priesterliche Segensmal auf meiner Stirn stellte mich in eine andere Kategorie.

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Vishnus Tod

Ein Buch der Bosheit.
Bosheit unter den Bewohnern des Hauses in Bombay, deren Hausgehilfe, der ihnen Botengaenge und Einkaeufe erledigt, am unteren Treppenabsatz wohnt und schlaeft.
Bosheit zwischen den beiden Hindu-Familien, den Asranis und den Pathaks, die eine Kueche miteinander teilen muessen, und auch innerhalb der Familien.
Bosheit zwischen dem ersten Stock und den muslimischen Jalals im zweiten, die sich zu Gewalttaetigkeiten aufschaukelt.
Was wie Liebe und Vereinigung des Verschiedenen anfaengt, die Liebesbeziehung ihrer Kinder Kavita und Salim, das entpuppt sich bald als dramatische Selbstinszenierung nach Vorbildern indischer Bollywood-Filme, und muendet wieder in Bosheit.
Was wie wiedererwachte Liebe zwischen den alten Jalals aussieht, wenn sie naeher zusammenruecken und einander zuzuhoeren scheinen, das zeigt doch umsomehr ihre Selbstsucht, denn sie versteigen sich jeweils in ihrer Welt und geben einander ungeruehrt preis. Bis in die kleinsten Alltagsereignisse wird das Kalkuel sichtbar, wo jeder den andern ausbeuten will und auf Kosten anderer sich selbst steigern.
Ueber den sterbenden Vishnu steigen sie hinweg, und bilden so das Kastensystem ab, in dem nur der Tod einen Aufstieg zulaesst.

Wenn Kalkuel im Zentrum der Begegnungen steht, dann erscheint es ueberfluessig, mit Hungerstreiks wie dieser Tage in Delhi gegen Korruption auf Regierungsebene zu demonstrieren - denn Korruption blueht in den Herzen aller, die nicht von sich selbst wegkommen und den anderen gebrauchen. Der hinduistische Weg der Selbsterkenntnis bedarf wie in allen anderen Kulturen und Religionen der Unterscheidung zwischen Selbsttaeuschung und Wahrheit. Eine Kritik an der buergerlichen Doppelmoral, welche die Religion an ihren Karren spannt.
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